· Pressemitteilung

Bewegende Eindrücke:

Jürgen Rave in einem Fahrzeug in Borken.
Einsatz des Internationalen Roten Kreuzes in und um Mykolajiw im Osten der Ukraine mit Jürgen Rave, Leiter des Rettungsdienstes beim Roten Kreuz im Kreis Borken.

Notfallsanitäter Jürgen Rave vom Roten Kreuz im Kreis Borken schildert Rettungseinsätze in der Ukraine

Kreis Borken (drk-press). Jürgen Rave (48), Leiter des Rettungsdienstes beim Roten Kreuz im Kreis Borken und ausgebildeter Notfallsanitäter, war für das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) im Kriegsgebiet in der Ukraine im Einsatz. 16 Tage wurde Rave, auch zweiter Vorsitzender im DRK-Ortsverein Stadtlohn, in Mykolajiw im Sanitätsdienst eingesetzt. Die Stadt hatte vor dem Krieg rund 480.000 Einwohner und liegt gut 130 Kilometer nordöstlich von der Hafenstadt Odessa entfernt.

Jürgen Rave ist über das Generalsekretariat des Deutschen Roten Kreuzes in Berlin angefragt worden. Gesucht wurden psychisch und physisch stabile Rettungskräfte für den Einsatz im Krieg. Rave meldete sich als einziger aus dem Gebiet des DRK-Landesverband Westfalen-Lippe, vier weitere Freiwillige haben sich aus anderen Bundesländern gemeldet. Über Düsseldorf und Wien ging der Flug in die moldawische Hauptstadt Chișinău. Von dort fuhr Rave mit einem aus Deutschland bereitgestellten Rettungstransportwagen (RTW) nach Odessa, zum Hauptquartier des Internationalen Roten Kreuzes. Drei Stunden lang dauerte die Fahrt über Straßen, die schon vor dem russischen Angriff auf die Ukraine nicht westlichen Standards entsprechen.

Von Odessa zum Einsatzort nach Mykolajiw

Von Odessa aus wurde der Rotkreuzler nach Mykolajiw beordert. Er schildert den Einsatz und seine Eindrücke: „In Mykolajiw waren wir in einer Hotel-Pension untergebracht, die sich zehn Kilometer von der Frontlinie entfernt befand. Selten gab es fließendes Wasser und Strom. Raketenalarm war ein Dauerzustand. Zwar wurde über eine App vor Raketenangriffen gewarnt, vor Artillerieangriffen kann jedoch leider nicht gewarnt werden. Im Laufe der Zeit lernt man mit diesem Gefühl umzugehen. Wenn ich allerdings jetzt hier sitze und eine Sirene höre, wird es mir mulmig.“

Die Sanitäter waren mit Schutzhelmen ausgerüstet, sowie Hartwesten. „Wir sind so nah an die Frontlinie herangefahren, dass diese Schutzmaßnahmen notwendig waren. Von dort übernahmen wir die Verletzten mit unseren RTWs.“ Was sich in der Schilderung einfach anhört, war harter Rettungseinsatz: „Wir sind hier in Deutschland in einem absolut sicheren Land. Selbst wenn man hier bei schweren Verkehrsunfällen im Einsatz ist, ist der Einsatz im Kriegsgebiet mit nichts zu vergleichen. Die Soldaten kommen von der Front teilweise erstversorgt an, teilweise aber auch unversorgt. Verletzungen, die durch Artilleriebeschuss, Raketen und Minen entstehen, müssen behandelt werden. Im Feld und an der Front können die ukrainischen Sanitäter nur das Nötigste tun.“

Die vier weiteren DRK-Einsatzkräfte, mit denen Rave zusammen Dienst versah, waren aus anderen Bundesländern abgestellt worden. Mit an Bord der Einsatztruppe war glücklicherweise ein englisch und russisch sprechender Rettungssanitäter aus Israel. Rave: „Gerade an den Checkpoints war er eine große Hilfe: viele Ukrainer sprechen kein Englisch.“

Versorgung in Krankenhäusern funktioniert – mit Abstrichen

Das war ein Teil der Einsätze. Ein anderer war, in Mykolajiw Verletztentransporte zu übernehmen, von Krankenhaus zu Krankenhaus. Die Versorgung dort habe funktioniert – mit Abstrichen. „In einem Krankenhauszimmer, das für drei Personen konzipiert war, lagen teilweise acht Personen, Bett an Bett. Das ist anders als bei uns. Man kann sich das nicht vorstellen.“

Hängengeblieben ist bei Jürgen Rave neben anderen Eindrücken das Schicksal eines sechsjährigen Mädchens, das – ohne Kriegseinwirkung – hätte beatmet werden müssen. Es gab jedoch kein Gerät. Jetzt stiftet das Rote Kreuz im Kreis Borken das Beatmungsgerät aus einem DRK-Rettungswagen sowie mehr als 50 Kanister Diesel. Rave: „Es gibt zwar wirklich an jeder Ecke eine Tankstelle, aber leider keinen Kraftstoff.“

Vor Essens- und Trinkwasserstationen gab es schon morgens riesige Schlangen, erzählt der Stadtlohner: „Ältere ukrainische Frauen, teilweise zwischen 92 und 95 Jahren alt, hatten links und rechts zwei Fünf-Liter-Kanister mit Wasser in den Händen und liefen damit quer durch die Stadt nach Hause. Man konnte nicht helfen, weil jederzeit mit neuen Einsätzen zu rechnen war.“

Eine Aufgabe der Rotkreuzler war, auch bei der Medikamenten- und Verpflegungsausgabe zu helfen und Trainings für ukrainische Kollegen zu leiten. „Es war immer etwas zu tun, Dienstschluss gab es nicht. Wir waren rund um die Uhr im Einsatz.“

„Geldspenden sind so wichtig“

Jürgen Rave fasst zusammen: „Die Menschen dort sind dermaßen dankbar, dass wir überhaupt in ein Kriegsgebiet reisen, um Hilfe zu leisten. Und wir haben wieder einmal gesehen: Das Rote Kreuz mit all seinen Facetten ist wahnsinnig wichtig. Das Internationale Rote Kreuz leitet Spendengelder an das Ukrainische Rote Kreuz weiter und damit werden jeden Tag Hunderttausende von Menschen ernährt. Deshalb sind Geldspenden so wichtig.“

„Wir sind stolz darauf, dass ein Rotkreuzler aus unserem Kreisgebiet direkt vor Ort geholfen hat, das ist sehr mutig. Alle Menschen, die den Menschen in und aus der Ukraine helfen und unterstützen verdienen größten Respekt“, bedankt sich die Vorstandsvorsitzende Beatrix Grohn an dieser Stelle: Geld- und Sachspenden erreichten in den vergangenen Wochen auch das Rote Kreuz im Kreis Borken. „Die Hilfe der Bevölkerung war enorm. Unsere beiden KARO-Kaufhäuser in Borken und Bocholt haben viele Spenden, wie Kinderwagen, Kinderspielzeug oder Kleidung erhalten, die die Geflüchteten bereits erreichten. „Die Menschen waren sehr dankbar und haben sich über die Spenden gefreut, vor allem die Kinder über das Spielzeug. Ein ganz großes Dankeschön an alle Spender!“